Auszug aus dem Buch…Steiermark 2050: „Viele Senioren – wenige Kinder – Der Sozialstaat auf einem neuen Prüfstand“
Die soziale Stabilität unseres Landes steht in den nächsten Jahrzehnten auf einem neuen Prüfstand. War es bisher die Kluft zwischen Arm und Reich oder zwischen Arbeitsplatzbesitzern und denen, die keine Arbeit haben, womit soziale Ungerechtigkeiten für politischen Sprengstoff gesorgt haben, kommt nun ein neues Phänomen hinzu. Sozial ungerecht ist es nämlich auch, wenn der jüngeren Generation von den Senioren zuviel abverlangt werden sollte. Was werden unsere Enkelkinder sagen, wenn sie einem Heer von Alten gegenüberstehen, das sich die Aufrechterhaltung des sozialen Sicherungssystems erwartet, für das es aber immer weniger Zahler und immer mehr Anspruchswerber geben wird. Sowohl enorme Beitragssteigerungen als auch gravierende Leistungseinschränkungen wird niemand ernsthaft ins Auge fassen wollen. Ein dritter Weg ist zu finden.
Die zentrale Herausforderung unseres Sozialstaates im Jahr 2050 wird es daher sein, wie wir die soziale Sicherheit der 70-, 80-, 90- und 100-Jährigen gewährleisten, von denen immer mehr keine Kinder oder Geschwister haben werden, die sich für sie verantwortlich fühlen. Es darf dadurch keinesfalls ein Klima aufkommen, dass „sozialverträgliches Frühableben“– wie es der deutsche Ärztekammerpräsident drastisch formuliert hat – in die politische Diskussion Eingang findet. Es gilt, viele Leistungen zu organisieren, die in der Vergangenheit die Familien erbracht haben. Einerseits sind neue Netzwerke zu knüpfen und andererseits sind aber auch die Grenzen der Möglichkeiten staatlicher Sozialleistungen klar aufzuzeigen. So wichtig und begrüßenswert alle Initiativen zur Stärkung der Familien sind, so wenig werden sie das Rad der Zeit zurückdrehen können. Das alte Modell der Großfamilie mit mehreren Generationen in einem Haus hat längst ausgedient, das der Kleinfamilie mit mehreren Kindern ist ebenso im Begriff eher der Ausnahme- als der Regelfall zu werden.
In der Steiermark sind diese Entwicklungen stärker ausgeprägt, als in den anderen Bundesländern; wir haben weniger Geburten als in Restösterreich und einen größeren Anteil an über 60-jährigen Steirern und vor allem Steirerinnen.
Bereits heute leben bei uns 262.000 Sechzigjährige und 43.000 Achtzigjährige. Die Anzahl der steirischen Mitbürger im Alter von 60 Jahren ist seit 1961 um ein Viertel gestiegen, die Anzahl der Mitbürger im Alter von 80 Jahren hat sich seit 1971 fast verdoppelt, die Zahl der über Neunzigjährigen macht bereits das Fünffache der Zahl von 1961 aus. Dabei darf man auch die stark steigende Lebenserwartung der Menschen in den Industriestaaten nicht vergessen. Ein im Jahr 2000 in Österreich geborenes Kind hat durchschnittlich 77,2 Lebensjahre zu erwarten. Ein Baby, das hier im Jahr 2050 auf die Welt kommt, wird sich nach aktuellen Berechnungen auf 83,1 Jahre freuen dürfen.
Im Jahr 2050 wird die steirische Bevölkerung also um 10 Jahre älter sein als heute und durchschnittlich bei bereits mehr als 49 Jahren liegen. Der Anteil der über 60-Jährigen wird mit 400.000 Menschen auf 39 Prozent der Gesamtbevölkerung klettern. Diese Altersgruppe ist trotz der sinkenden Geburtenzahlen in den nächsten Jahrzehnten die Einzige, die absolut mit Zuwächsen rechnen kann und sie ist jene, die den überwältigenden Teil der Gesundheits- und Sozialdienste benötigt.
Die stark rückläufigen Geburtenzahlen verschärfen die Situation beträchtlich. Hatten wir 1960 in der Steiermark noch 21.729 Geburten, war es im Jahr 2000 nicht einmal mehr die Hälfte mit 10.675 Geburten. Die Fruchtbarkeitsrate der Frauen – wie es Amtsdeutsch heißt – sank im gleichen Zeitraum von 2,98 auf 1,26 Kinder.
Dass die Politik auf allen Ebenen – von den Gemeindestuben bis zum Europaparlament – hier massiven Handlungsbedarf hat, wird vielerorts zu wenig beachtet. Landeshauptmann Waltraud Klasnic hat mit ihrer großen Initiative „Kind(er)leben“ den richtigen Weg eingeschlagen. Mit einem breitgestreuten Bündel von Maßnahmen will sie Impulse für eine kinder- und familienfreundliche Steiermark setzen. Gezielt sollen in allen Ressorts des Landes Überlegungen angestellt werden, um die rasante Talfahrt bei den Geburten zu stoppen. Erstmalig soll bei allen Gesetzen und Beschlüssen des Landtages und der Landesregierung auch eine „Kinder- und Familienverträglichkeitsprüfung“ eingeführt werden. Große Gelehrte wie der Politologe Francis Fukuyama teilen die Analyse der steirischen Landeschefin.
Fukuyama sieht in seinem Buch „Der große Aufbruch“ als Hauptgefahr für unsere modernen Demokratien am Beginn des Informationszeitalters den „exzessiven Individualismus“. Gegen diese Fehlentwicklung könnten Familien am meisten beitragen, „da Väter und Mütter zusammenarbeiten müssen, um Kinder in die Welt zu setzen, zu sozialisieren und zu erziehen. …. Die Familie spielt sowohl als Quelle wie bei der Weitergabe von Sozialkapital eine wichtige Rolle. Ohne Sozialkapital kann es keine Zivilgesellschaft geben und ohne Zivilgesellschaft keine funktionsfähige Demokratie“, folgert Fukuyama.
Neben der Herausforderung, wieder mehr junge Frauen und Männer zu einem „Ja zur Familie“ und zu einem „Ja zu Kindern“ zu ermutigen, muss auch die soziale Absicherung der älteren Generation neu organisiert werden, soll niemand mit Sorge dem Tag entgegensehen müssen, an dem er ein Pflegefall wird.
Stationäre Einrichtungen, die schon heute aus den Sozialtöpfen der Gemeinden und des Landes mehr als 1 Milliarde Schilling benötigen, stoßen bereits jetzt an die Grenze der Finanzierbarkeit. Wir brauchen jedoch zigtausend zusätzliche teure Pflegebetten, wenn wir nicht durch gesetzliche Maßnahmen lenkend eingreifen. Daneben muss es gelingen, die Eigenverantwortung wieder stärker in den Blickpunkt der Lebensplanung der Bürger zu rücken.
Die von den Klubobmännern der CSU, Alois Glück, und der ÖVP, Andreas Khol, propagierte aktive Bürgergesellschaft bietet hier eine Chance, diese neue Herausforderung der Sozialpolitik zufriedenstellend lösen zu können.
Warnfried Dettling umschrieb beim Sozialkongress der ÖVP im Oktober 2001 den Begriff der „Bürgergesellschaft“ als „jene sozialen Aktivitäten und jenen sozialen Raum jenseits von Macht und Staat, in den die Menschen freiwillig, aber nicht privat, öffentlich sichtbar und wirksam, aber nicht unter staatlichen Regie und nicht zuletzt ‚not for profit’ tätig sind, aber trotzdem etwas davon haben, sich selbst und die Gesellschaft bereichern, wenn sie sich engagieren“. So will man ein Gleichgewicht zwischen Eigenvorsorge und kollektiv erbrachter Solidarität erreichen.
Professionellen ambulanten Betreuungsdiensten – wie der Hauskrankenpflege und Altenhilfe – ist durch gesetzliche Regelungen der Vorrang vor stationären Einrichtungen einzuräumen. Hier hat die Politik eine bisher verabsäumte Lenkungsaufgabe wahrzunehmen. Ergänzend zu den professionellen Diensten sind im Sinne der Bürgergesellschaft lokale Betreuungs- und Besuchsdienste aufzubauen und „jüngere Alte“ zu motivieren, hier intensiv mitzutun. Nur so können viele Aufgaben bewältigt werden, die bisher Familienverbände wahrgenommen haben. Selbsthilfegruppen, neue soziale Netzwerke, traditionelle Formen der Nachbarschaftshilfe im Zusammenspiel mit großen Trägervereinen wie der Caritas, dem Roten Kreuz, dem Hilfswerk und der Volkshilfe und den großen Seniorenverbänden können es schaffen – familienergänzend oder wo notwendig familienersetzend – im vertrauten Umfeld pflegebedürftiger Senioren eine Struktur aufbauen, die Pfleglinge und hilfsbedürftige Senioren möglichst lange den Wechsel in eine stationäre Einrichtungen und der öffentlichen Hand Millionenbeträge erspart.
Ein kinder- und familienfreundliches Klima im Land, Eigenvorsorgemaßnahmen, neue soziale Netzwerke ehrenamtlicher und professioneller Dienste für die ältere Generation müssen Vorrang vor der Inanspruchnahme gesetzlicher Solidarsysteme und stationärer Einrichtungen haben, wollen wir auch im Jahr 2050 eine menschliche und leistbare Betreuung der Senioren sicherstellen.
LAbg. Dr. Reinhold Lopatka Klubobmann der Steirischen Volkspartei